Die LP erlebt seit einigen Jahren ein Revival der besonderen Art. Das Geschäft mit Vinyls boomt in Österreich. Für manche ist es eine Renaissance des beliebten Tonträgers, für die jüngere Generation die Entdeckung der ultimativen Entschleunigung des Musikkonsums. im7ten hat sich in sieben Schallplattenläden im 7. Bezirk umgesehen (und gleich mal ein kleines Vermögen angelegt – nicht verschleudert!)
Die ungewöhnliche Schicksalswendung eines Tonträgers
Während die CD ihren finalen zzzpzzzpzzzp-Sprung gesprungen ist, das Magnetband der Kassette das letzte Mal mit dem kantigen Jolly-Buntstift aufgerollt wurde und die Kiste mit den MiniDiscs im Fußraum des Beifahrersitzes nur noch eine nostalgische Erinnerung an diese ersten Führerscheinjahre darstellt, hat es eine zurück in die heimischen Wohnzimmer geschafft: Die Vinyl-LP samt Plattenspieler thront stolz und ausladend auf dem Sideboard, daneben die Lautsprecher – kompakt ist es ja nicht gerade, das neue Hobby, das wir als ganze Familie für uns (wieder)entdeckt haben … und mit uns tausende andere Österreicher*innen.
Ein Umsatzplus von 606 % in einem Jahrzehnt
Laut Statista wurde 2011 in Österreich noch ein überschaubarer Umsatz von 1,5 Millionen Euro mit Vinyl-Schallplatten gemacht, der bis 2022 (aktuellste Daten) auf sagenhafte 10,6 Millionen Euro explodierte.
Und das, obwohl man so gut wie alles quasi zum Nulltarif auf Spotify streamen und sich auf einem Gerät in passabler Tonqualität abspielen lassen, das man ohnehin in der Hosentasche mit sich herumträgt.
Gen Y genießt, Generation Smartphone entschleunigt
Die Motivation, die Lieblingsmusik auf den Plattenteller zu legen, unterscheidet sich zwischen den Generationen. Für manche ist es eine nie erloschene Liebe, für andere eine neue.
Mein Mann – selbst Musiker – genießt vor allem den wärmeren, dreidimensionaleren Klang. Auch das haptische Erlebnis ist etwas Besonderes: Das große Format der Kartonhüllen, das Wischgeräusch, wenn man die Platte aus dem Sleeve zieht, statisches Knistern, das vorsichtige Auflegen auf den Plattenteller, das sanfte Aufsetzen der Nadel … in dieses Ritual haben sich auch die beiden Mitbewohnenden der Generation Alpha sofort verliebt. Für sie, die Smartphone-Generation, gibt es erstmals seit Beginn ihrer Music-Lover-Karriere Lieblingsmusik zum Angreifen. Zu Weihnachten haben sie sich gewünscht, sich im Plattengeschäft eine Vinyl aussuchen zu dürfen – sie wünschen sich das Erlebnis, die Arbeit ihrer Lieblingskünstler*innen zu „begreifen“. Den Wunsch haben wir ihnen erfüllt …
Der 7. Bezirk ist ein Schallplatten-Hotspot in Wien
Wer in Wien auf der Suche nach neuen und gebrauchten Vinyls ist, sollte unbedingt im 7. Bezirk vorbeischauen, wo es gleich mehrere wichtige Adressen für die LP-Passion gibt. Wir haben einige Shops ins Visier genommen:
Black Monk Records
Black Monk Records in der Neubaugasse 51, 1070 Wien, ist eine Drehscheibe für Vinyl- und CD-Sammlungen – klein in Quadratmetern, groß im Sortiment. Ganz besonders das Jazz-Angebot kann sich sehen lassen, doch auch Vinyls der Genres Rock/Krautrock, Blues, Reggae, Afro, Hip Hop, Soul/Funk, Indie, Alternative Rock, Electronic, Punk/New Wave, Hard Rock & Metal und Austropop gehen hier über den Ladentisch.
Hier wird an- und verkauft, was bedeutet, dass sich in den gebrauchten Platten so manches Schnäppchen verbirgt. Wenn also erst kürzlich (wieder) ein Plattenspieler eingezogen ist, sollte der Weg zu Black Monk Records in die Flaniermeile Neubaugasse führen, um die eigene Tonträgersammlung zu starten bzw. mit Sammlerstücken und Raritäten aufzuforsten.
Wer im Begriff ist, die private Sammlung aufzulösen, ist hier auch gerne gesehen. Schließlich brauchen die Kund*innen von Black Monk Records laufend neues Altes zum Hören und Fühlen.
Tipp: Black Monk Records ist beim zweimal im Jahr stattfindenden Flaniermarkt inklusive Flohmarkt in der Neubaugasse dabei.
schallplatten-ankauf-verkauf.at
das market
Nach dem obligatorischen Blick in den Offenen Bücherschrank in der Westbahnstraße Ecke Zieglergasse geht es gleich daneben in das market in der Westbahnstraße 22/Zieglergasse 40, 1070 Wien. Wer sich in Techno, House, Electro und Disco genauso wenig auskennt wie meine Oma mit fleischloser Küche, möge sich dem Fachwissen von DJ Fritz Plöckinger unterordnen, der bei der Wahl einer Platte besagter Genres gerne berät.
Tipp: Einen kurzweiligen Abriss über Fritz Plöckingers Weg zum eignen Store gibt es von Samir H. Köck auf Die Presse nachzulesen.
dasmarket.at
Lindi’s Schallplattenladen
Lindi’s in der Burggasse 79, 1070 Wien, gleich ums Eck von froemmel’s conditorei taucht man in einen welt- und vor allem genreoffenen Open Space ein. Völlig unvoreingenommen wird hier die Musik unterschiedlichster Künstler*innen präsentiert. Die solide Auswahl an Queen- und Taylor-Swift-Platten, Elton John, Pink Floyd und Jake Bugg bringt einerseits die Qual der Wahl mit sich, es lässt sich aber auch einfach herrlich in den Plattenregalen „blättern“ und ständig was Neues entdecken, von dem man genauso, wenn nicht noch begeisterter als von dem Fund davor ist. Und wenn man grübelnd und abwägend mit zwei Platten in den Händen im Lindi’s steht und jemand aus dem Team vorbeikommt, staubt man sicherlich eine gute Geschichte ab, die einen mehr zur einen oder anderen Platte tendieren lässt – dass es sich um eine Limited Edition handelt oder der Plattenbestand vielleicht schon sehr gering und nicht klar ist, ob es einen neuen Release geben wird.
Spätestens beim Zahlen, wenn jede Platte vorsichtig gewendet und ins System eingegeben wird, kommt noch ein wertschätzendes Wort über die Platte, den/die Künstler*in, einen Song, eine Erinnerung an ein Konzert oder der Tipp für eine bevorstehende Tour. Bei Lindi’s stehen die Künstler*innen – egal welchen Genres – im Mittelpunkt und so bekommt man auch mit dem ganz individuellen Musikgeschmack ein Wohlfühlerlebnis.
lindisschallplatten.at
Moses Records
Als (zukünftige*r) Schallplattenbesitzer*in gehört zum guten Ton, Moses Records zu kennen. Das Schallplattengeschäft ist in der Lerchenfelder Straße 33, 1070 Wien, zu Hause, vielen aber vor allem als Veranstalter der viermal im Jahr stattfindenden Vinyl- & CD-Börse bekannt. Die kommenden Termine kann man auf der Website einsehen. Wer eine Sammlung auflösen möchte, kann sich bei Moses Records melden, um die guten Stücke zu verkaufen.
moses-records.at
Schallter
Schallter hat auf jeden Fall was für alle im Sortiment, die einfach mal loslegen und ihrer Plattensammlung mit ein paar Must-haves (oder besser Must-hears) den Auftakt geben wollen – sowohl neu als auch gebracht. Nicht nur wegen der prominenten Lage in der Westbahnstraße 13, 1070 Wien, an der man mit dem 49er vorbeitingelt, sondern auch wegen der hemmschwellensenkenden Glasfront ist der Schallter eine Adresse, die Vinyl-Neulinge gerne als erstes besuchen. What you see is what you get und was du nicht siehst, kann in aller Regel für dich bestellt werden. Das Team berät freundlich und kompetent.
Die Schallter-Spezialität ist neben dem Fokus auf die heimische Musikszene die Liebe zur Technik: Wer sich für Plattenspieler, Boxen und Co. interessiert, bekommt hier die fachliche Beratung, die es für die Kaufentscheidung mit Hand und Fuß braucht. Gute Musik braucht schließlich gute Abspielgeräte, wie Daniel Astner bereits vor vielen Jahren in seinem im7ten-Blogpost Totgesagte drehen länger – die Erde ist eine Scheibe festhielt.
Besonderer Stöbertipp: Unbedingt die Kiste mit den signierten Vinyls durchschauen – könnte ja ein Lieblingsstück dabei sein.
schallter.at
Sing Sing
Sing Sing in der Neustiftgasse 19, 1070 Wien, konzentriert sich, ob der hohen Nachfrage nach Schallplattenraritäten auf den Ankauf – verrät auch schon die Webadresse – von Schallplatten. Demnach ist es auch schwer möglich zu sagen, was es hier gibt – das ändert sich täglich. Wir machen es daher umgekehrt: Was es hier nicht gibt, sind Volksmusik, Klassik und Schlager.
schallplatten-ankauf.at
substance
substance in der Westbahnstraße 16, 1070 Wien, straft meine Vorrede zum schleichenden Tod anderer Tonträger Lügen, wird hier doch nach wie vor neben einem klaren Vinyl-Schwerpunkt auch mit Kassetten und CDs gehandelt. „Vinyl war für uns als Fans, DJs, Sammler, Labelbetreiber immer das Lieblingsmedium und Hauptaugenmerk des Ladens, lange vor dem sogenanntem ‚Vinyl-Hype‘. Aber auch CDs sind heute noch ein nicht zu vernachlässigendes Medium – insbesondere in Genres wie Jazz oder Avantgarde-Elektronik gibt es Käufer und Käuferinnen. Für Musikkassetten hat sich in letzter Zeit wieder ein – kleiner – Markt entwickelt, diese werden aber eher zum Sammeln, als zum Anhören gekauft“, skizziert substance-Inhaber Konstantin Drobil das Marktgeschehen. Der bei der Eröffnung im Jahr 2001 noch unverrückbare Grundsatz, nur das zu verkaufen, was ihm und dem Team auch selbst gefällt, ist lockerer geworden: „… aber natürlich versuchen wir besonders Genres und Artists zu präsentieren, die wir toll und wichtig finden, die sich abseits des Mainstream bewegen und die einfach auf ihre Art etwas Besonderes produzieren – das kann Indierock, Electronica, Jazz, Hip-Hop, Noise oder Metal oder die schrägste Phantasie-Nische sein“, erklärt der Vinyl-Experte.
Band-Shirts und Magazine runden das Sortiment ab, das bei eingefleischten substance-Fans – und davon gibt es eine Menge – seit über zwanzig Jahren gut ankommt. Auch Schauspielerin Gillian Anderson hat hier bereits vorbeigeschaut.
substance-store.com
Begebt euch auf eine Tour durch die Läden des 7. Bezirks
Wer Lust auf noch mehr Schwelgen in Vinyl-Träumen hat, empfehlen wir den Blogpost Totgesagte drehen länger und dann natürlich noch, bei der nächsten Gelegenheit eine Tour durch den 7. Bezirk zu machen.
Eins bin ich noch schuldig: Meine Motivation, den Plattenspieler aufzudrehen.
Ich, meist wenig motiviert das Smartphone via Bluetooth mit dem Bose SoundLink zu koppeln und deshalb oft über den Smartphone-Lautsprecher hörend (und das ist im Vergleich tatsächlich so, als würde man Wagyu-Steak in Ketchup tauchen), finde es angenehm, wie die Musik vom Wohnzimmer aus durch die Räume fließt und ein Signal an alle anderen Mitbewohnenden aussendet: „Hier spielt die Musik.“ Es kommt einem Appell gleich, keine weiteren Geräuschquellen aufzudrehen. Das Hörspiel am iPad schweigt, die Spotify-Playlist ist gestoppt, alle anderen Smartphones sind so schlau zu schweigen – bis jetzt klappt das wunderbar. Und nach vier, fünf, sechs Songs ist die Nadel in die Plattenmitte gewandert und der nächste Musikfan ist dran, eine Scheibe auszusuchen und uns mit der Wahl zu überraschen.
