Über die Westbahnstraße, den Zufall und die Ordnung

Buchausschnitt Westbahnstrasse

Manchmal scheint das Leben einen Plan zu haben und die Willkür des Zufälligen bringt Ordnung und Regelmäßigkeit hervor. Man muss kein Verfechter des deterministischen Weltbilds sein um in den Bann derartiger Phänomene gezogen zu werden. Am 14. Juli 1862 bekam ein aus Böhmen stammender Goldgraveur Nachwuchs. Sein Sohn sollte seinem Vorbild folgen und die Kunst der Verarbeitung des Edelmetalls erlernen. Das tat er auch, nur nicht im konventionellen Sinne. Im selben Jahr erhielt die Westbahnstraße ihren heutigen Namen, benannt wurde sie nach der Kaiserin-Elisabeth-Westbahn, welche eine Verbindung zwischen dem heutigen Westbahnhof und der Stadt Salzburg herstellte. Die gesamte Strecke betrug 316 Kilometer und wurde am 12. August des Jahres 1860 eröffnet.

Der Kreis schließt sich

Bei dem Sohn von besagtem Goldgraveur handelte es sich um keinen Geringeren als Gustav Klimt, Aushängeschild des Wiener Jugendstils und Schöpfer weltbekannter Meisterwerke. „Schön und gut“, werden Sie sich denken, „aber was hat das mit der Westbahnstraße zu tun?“ Nun, weil der Zufall sich eben manchmal nach Ordnung sehnt, trug es sich zu, dass sich die letzte Wohnung des werten Herrn Klimt in der Westbahnstraße Nummer 36 befand. Hier erlitt er am 11. Jänner des Jahres 1918 einen Schlaganfall und verstarb wenig später im heutigen alten AKH. Mittlerweile erinnert eine Gedenktafel an der Fassade seiner ehemaligen Unterkunft an den grandiosen Künstler. Doch Klimt war nicht die einzige bedeutende Persönlichkeit, die zu Lebzeiten auf den Pflastern der Westbahnstraße wandelte.

Der Pater aus dem Schottenfeld

Im alten Wien konnte man nicht unbedingt von einer ausgewogenen Verteilung der monetären Mittel sprechen, vor allem in den Vororten war die Kluft zwischen Armut und Reichtum deutlich zu spüren. So war auch das Schottenfeld von sozialen Spannungen und kleineren Konflikten gezeichnet, es gab allerdings einen Mann, der sich für die Benachteiligten einsetzte und den Gefallenen wieder auf die Beine half. Der Menschenfreund Pater Urban Loritz kam 1841 zur Schottenfeld Kirche in der Westbahnstraße, wo er ab dem Jahr 1850 als Pfarrer wirkte. Neben unzähligen anderen wohltätigen Projekten, setzte er sich für die Eröffnung der ersten Kleinkinderbewahranstalt Österreichs ein, welche sich in der Halbgasse befand. Loritz wurde im Jahr 1867 für seine Taten mit dem „Zivil-Verdienstkreuz“ geehrt, welches „zur Belohnung treuer und tätig bewährter Anhängigkeit an Kaiser und Vaterland, vieljähriger, anerkannt erprießlicher Verwendung im öffentlichen Dienst oder sonstiger um das allgemein Beste erworbener Verdienste“ verliehen wurde. Neben Pater Urban Loritz gab es allerdings noch einen weiteren Wohltäter, der mit der Westbahnstraße in Verbindung steht.

Ludwig Wilhelm Mauthner von Mauthsteinwestbahnstr_bild

Der junge Arzt Ludwig Wilhelm Mauthner interessierte sich bereits früh für die Behandlung von Kindern und Jugendlichen. Nachdem er sein Studium abgeschlossen hatte, absolvierte er seinen Militärdienst als Regimentsarzt und behandelte Opfer der schweren Cholera- und Typhusepidemien. Im Jahr 1837 eröffnete er in seinem Wohnhaus in der Kaiserstraße Nummer 49 eine Pflegestätte für erkrankte Kinder. Diese umfasste lediglich zwölf Betten und war für die Behandlung des Nachwuchses der ärmeren Bevölkerungsteile gedacht. Mauthner verlangte keine Bezahlung für seine Dienste. Bald zeigte sich, dass seine private Unterkunft zu klein war, um weitere Erkrankte zu beherbergen. Honorius Kraus, Vorgänger von Pater Urban Loritz und damaliger Pfarrer der Schottenfeld Kirche, leitete eine Spendenaktion ein, die es Mauthner ermöglichte, das erste Kinderspital Wiens in der damaligen Westbahnstraße Nummer 37 zu errichten. Im Jahr 1848 wurde das Krankenhaus in den neunten Wiener Gemeindebezirk verlegt. Heute trägt es den Namen St. Anna Kinderspital.

Fazit: Die Westbahnstraße erlebte im Laufe der Zeit so manch ehrenwerten Bürger Wiens. Wenn Sie das nächste Mal über die Einkaufsstraße schlendern, halten Sie kurz inne und bedenken Sie, dass Pater Urban Loritz, Ludwig Wilhelm Mauthner oder Gustav Klimt vor etlichen Jahrzehnten möglicherweise an derselben Stelle standen. Manchmal kommt es eben vor, dass sich Zufall und Ordnung die Hand reichen.

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